Paare haben zumindest einander, wenn sie ihre Wohnung nicht verlassen können. Singles haben oft nur sich selbst.
Corona hat viele von ihnen noch einsamer gemacht – und Vermittlungsagenturen neue Kunden beschert

VON LINUS FREYMARK

Ein bisschen einsam hat er sich schon länger gefühlt. Trotz der Freunde, mit denen er vor der Corona-Pandemie am Wochenende in der Kneipe Fußball geschaut hat, trotz der Frauen, mit denen er sich hin und wieder verabredet hat. Aber die Richtige war nie dabei. Nie wurde aus dem gemeinsamen Kaffeetrinken eine Beziehung. Und dann konnte er während des Lockdowns weder Frauen noch seine Freunde treffen. Diese Corona-Phase, sagt Martin deshalb, sei „schon noch einmal härter als normalerweise“ gewesen.

Seit neun Jahren ist Martin, 43, gebürtiger Münchner, Single. Seine Freundin hatte ihn damals verlassen, es habe einfach nicht mehr gepasst, meinte sie. Seitdem ist er auf der Suche. Seine Freunde haben fast alle eine Partnerin, manche Kinder. Er dagegen wischt sich durch Tinder, scrollt durch die Single-Gruppen auf Facebook. Ihm ist das ein bisschen unangenehm, deshalb soll sein Nachname lieber nicht in der Zeitung stehen. Aber erzählen möchte er schon, wie sich sein Leben durch die Corona-Beschränkungen verändert hat. Und wie das Gefühl des Alleinseins noch ein bisschen stärker wurde als es davor schon war.

Rund 460 000 der insgesamt etwa 827 500 Münchner Haushalte sind nach Zahlen der Stadt von 2014 Einpersonenhaushalte. Das bedeutet: In 55 Prozent aller Wohnungen lebt ein Mensch allein. Bis 2030 rechnet man bei der Stadt damit, dass insgesamt 115 000 Haushalte hinzukommen werden – knapp zwei Drittel davon, 73 000, werden laut Prognose von nur einer Person bewohnt werden. Natürlich fallen unter diese Statistik auch Paare mit getrennten Haushalten, doch die Zahlen zeigen: Single zu sein ist in München mehr Regel als Ausnahme.

Viel ist über Alleinstehende während Corona geschrieben worden, von der Politik wurden Singles jedoch zunächst eher übersehen: Die ersten Lockerungsmaßnahmen zielten vor allem darauf ab, die Situation für Familien erträglicher zu machen. Doch was ist mit den Zehntausenden Singles, die während des Lockdowns komplett isoliert waren? Kein Problem, beruhigte der ein oder andere Experte: Für Menschen, die es gewohnt seien alleine zu leben und dies womöglich absichtlich täten, stelle die Situation keine besondere Belastung dar, konnte man etwa im Tagesspiegel lesen.

Diejenigen, die wie Martin auf der Suche sind, haben es aber schwerer: keine Dates, kein Sex – und obendrein die stärker werdende Einsamkeit.

Dass es vielen Menschen während der ersten Phase der Pandemie ähnlich ging, haben auch Anita Schwarzenberg und ihr Sohn Philipp festgestellt. Die beiden leiten die Partneragentur Sympathica mit Sitz in der Münchner Maximilianstraße. Die Kunden der Agentur sind ähnlich exquisit wie die Firmenadresse, unter ihnen sind Prominente, Ärzte, Geschäftsfrauen. Männer und Frauen, für die eine 60-Stunden-Woche Standard war und die neben der Arbeit nicht auch noch Zeit dafür hatten, jemanden kennenzulernen oder gar eine Partnerschaft zu führen, die für Meetings um den Globus jetteten und deren Leben zwischen Abflugschaltern und Konferenzräumen jäh von Corona ausgebremst wurde. „Seit Beginn der Pandemie ist die Nachfrage bei uns gestiegen“, sagt Anita Schwarzenberg. „Die Prioritäten haben sich ein Stück weit verlagert.“ Einigen sei während des Stillstandes bewusst geworden, dass sie vielleicht doch ganz gerne einen Partner oder eine Familie hätten.

Denn freiwillig allein waren auch schon vor Corona wohl nur die wenigsten: Der Blog muenchnersingles.de hat im Herbst eine Befragung unter Alleinstehenden durchgeführt, das Ergebnis: Die meisten von ihnen, 55 Prozent, gaben an, bisher einfach nicht den Richtigen oder die Richtige gefunden zu haben. Nur sieben Prozent der Befragten meinten, sie seien glückliche Singles und würden nicht unbedingt auf Partnersuche sein. Dass es in München so viele Singles gibt, hat laut der Umfrage auch mit der Stadt zu tun: Als Gründe, warum sie nicht in einer Beziehung sind, zählten die Befragten unter anderem auf, dass die Stadt zu viele Reize bietet, die einen nicht mehr daran denken lassen, sich zu binden. So könne man auch allein gut in München leben. Das Kennenlernen sei hier schwieriger als anderswo, die Befragten gaben an, dass die Münchner reservierter seien als die Bewohner anderer deutscher Städte und es so schwerer sei, jemanden zu finden.

Seit 35 Jahren vermittelt Anita Schwarzenberg Alleinstehende. In ihrer Anfangszeit, erzählt sie, habe ein Mann mal einen Proteststurm mit einer Zeitungsannonce ausgelöst: Darin suchte er eine Affäre – in den immer noch prüden Achtzigerjahren ein Unding, meint Schwarzenberg. Mittlerweile sagten ihre Kunden und auch die Kundinnen immer offener, was sie sich wünschen – auch wenn es keine feste Beziehung ist. Vor Kurzem hat die Agentur einen Bereich für gleichgeschlechtliche Paare eröffnet. Auch das wäre in Schwarzenbergs ersten Jahren undenkbar gewesen.

Schwarzenberg Partnervermittlung Sueddeutsche Maximilianstrasse Muenchen

Anita G. und Philipp Schwarzenberg in der Lobby ihrer Münchner Dependance. Foto: Catherina Hess

Wer sich über die Agentur auf Partnersuche begibt, schickt zunächst einen Steckbrief mit seinen Daten und Wünschen. Anschließend laden die Schwarzenbergs den potenziellen Kunden oder die Kundin zu einem persönlichen Gespräch in ihr Büro ein, um ihn oder sie kennenzulernen und zu schauen, ob und wie sie weiterhelfen können. Auf dieser Grundlage erstellen sie dann ein Exposé, das nach Autorisierung durch den Klienten oder die Klientin in die Datei der Agentur eingeht. Haben die Partnervermittler dann einen passenden Kandidaten gefunden, wird dem- oder derjenigen der Text vorgelegt. Gefällt beiden Seiten der Vorschlag, kommt es zu einem Treffen. In der Anfangsphase des Lockdowns sei zwar die Nachfrage nach einer Vermittlung gestiegen, sagt Anita Schwarzenberg, das Vorstellungsgespräch oder Dates seien wegen der Beschränkungen aber nicht möglich gewesen. Nun, wo sich zumindest zwei Hausstände wieder miteinander treffen können und die Restaurants wieder offen haben, ist es wieder leichter, Rendezvous zu arrangieren.

Eine Beobachtung, die auch Martin teilt. Bis Ende April hatte er ausschließlich über das Internet Kontakt mit Frauen. „Ich würde sagen, dass ich deutlich mehr mit Frauen geschrieben habe“, meint er. Ein Treffen habe er dagegen erst vorgeschlagen, als es wieder erlaubt war, sich zu zweit zu begegnen. Mit zwei Frauen sei er dann an der Isar spazieren gewesen, „aber eigentlich gehe ich überhaupt nicht gerne spazieren“, sagt er. Doch was hätte er tun sollen? Die Cafés und Restaurants sind ja erst seit Kurzem wieder offen und direkt zu Hause verabredet er sich ungern. Vielleicht haben die Frauen gemerkt, dass er sich unwohl gefühlt hat: beide hat er nicht wiedergesehen.

Bei einer Befragung von Singles
gaben nur sieben Prozent an,
keinen Partner zu suchen

Seit 35 Jahren vermittelt Anita Schwarzenberg Alleinstehende. Zusammen mit ihrem Sohn Philipp betreibt sie eine recht exquisite Agentur.

Dieser Artikel erschien am 8. Juni 2020 im Ressort München der Süddeutschen Zeitung.