Im Zuge dieser Veränderung explodiert seit einigen Jahren die Zahl der neuen Beziehungsphänomene. Die Namen zeugen von ihrer Herkunft. Viele der Trends sind aus Amerika zu uns herüber geschwappt. Wer soll da noch den Überblick behalten? Ich möchte Ihnen darum einen Pfad in den unübersichtlichen Dschungel der neuen Beziehungstypen schlagen.
Friend-Zone
Alles läuft super, man kennt sich, versteht sich, lacht viel gemeinsam und verbringt zusammen einen Großteil der verfügbaren Freizeit. Aber außerhalb von dicker Freundschaft passiert nichts. Man ist in der Friend-Zone des anderen gelandet. Solange beide damit glücklich sind, nennt sich das einfach Freundschaft. Sobald einer der Partner realisiert, immer nur der Freund/Freundin zu bleiben, kann dies mitunter schwer enttäuschen. Akut wird die Friendzone, wenn einem der Partner nicht klar ist, dass es außer Freundschaft niemals zu mehr kommen wird. Bei 11.000 Befragten gaben 37% der Männer, aber nur 27% aller Frauen an, sich schon einmal ungewollt in einer Friend-Zone wiedergefunden zu haben.
Ghosting
Das als Ghosting bekannte Phänomen ist zwar der einfachste Weg zum Eskapismus, aber bei weitem nicht der netteste. Nach dem ersten Date ist einer der Partner plötzlich verschwunden, so wie ein Geist. Er/Sie meldet sich nie wieder und reagiert nicht einmal mehr auf Kontaktversuche. Ghosting ist ein weit verbreitetes Phänomen. Dabei kann man doch zumindest eine Erklärung erwarten, wenn das Date plötzlich keinen Bock mehr hat, oder? Etwa 25-36% der Frauen jünger als 29 Jahre haben bereits schon einmal jemanden ge-ghosted. Im Gegensatz haben sich nur 20% der Männer nach dem ersten Date für immer in Luft aufgelöst.
Submarining
Ghosting mag ja bereits eine fiese Masche sein, aber submarining setzt wirklich allem die Krone auf. Wenn die Geister nämlich wiederkehren… Stellen Sie sich vor, Sie würden nach einem Date ge-ghostet und nach ein paar Wochen (manchmal auch erst nach Jahren) meldet sich diese Person wieder bei Ihnen. Das auch als U-Boot-Dating bekannte Phänomen ist noch recht jung – zumindest ist es der Begriff. Die meisten U-Boote sind sich dabei keiner vergangenen Schuld bewusst. Sie geben sich meist so, als hätte ihre Flucht nach dem ersten Date niemals stattgefunden. Aus soziologischer Perspektive wäre sehr interessant, weshalb sich diese Masche überhaupt so weit durchsetzen kann, dass sie jetzt einen eigenen Namen braucht. Der Verdacht liegt nahe, dass bei Betroffenen psychologische Mechanismen wirken. Niemand aus unserem Umfeld würde uns doch dazu raten, sich ein zweites Mal auf eine Person einzulassen, die uns bereits beim ersten Versuch enttäuscht hat. Und dennoch funktioniert die Masche erschreckend gut.
Benching
Beim Benching werden Menschen auf die lange Bank geschoben. Hin und wieder meldet sich das ehemalige Date mal wieder mit einer lieben Nachricht, sodass wir langfristig nicht das Interesse verlieren. Dabei ist den Benchern klar, dass sie eigentlich gar keine Beziehung mit der gebenchten Person eingehen wollen. Oftmals geht dieses Phänomen so weit, bis der Gebenchte selbst bemerkt, welch übles Spiel mit ihm/ihr getrieben wird. Etwa 15% der Männer und Frauen haben es schon getan und 16% bereits am eigenen Leib erleben müssen. Auch das Phänomen des Breadcrumbing (dem gebenchten Menschen oder Ex-Partner so viele Brotkrumen hinwerfen, dass die Beziehung nicht abreißt) geht in diese Richtung.
Freundschaft PLUS (F+)
Die Begriffserklärung steckt ja hier bereits im Namen. Interessant ist bei dem zunehmenden Trend der Generationen unter 30 Jahre allerdings, dass gerade die Abstinenz von romantischen Gefühlen und Beziehungsverpflichtungen sehr stark zunimmt. Jeder Vierte Deutsche hat bereits Erfahrungen mit dem Freundschaft PLUS Modell gesammelt.
Cushioning
Cushioning ist mit Benching vergleichbar, aber noch erheblich perfider. Von einem Cushion (Polsterung) ist die Rede, wenn sich Menschen neben dem eigentlichen Beziehungspartner noch einen weiteren potenziellen Partner in Reserve behalten. Diese Leute werden meist für den spezifischen Fall gebencht, dass man ein weiches Ersatzpolster hat, auf das man fällt, sollte die Primärbeziehung einmal kaputt gehen. Etwa 13% der befragten Männer zwischen 30 und 39 (Ja, es ist eher ein männliches Phänomen) gaben Cushioning zu.
Gatsbying
So heißt der Versuch, den Schwarm online zu beeindrucken, so wie „der Große Gatsby“ das durch übertrieben luxuriöse Partys mit seiner Traumfrau vorhatte. Obwohl Gatsbying mittlerweile zunehmend als bloße Angeberei enttarnt wird, haben etwa 20% aller Frauen unter 30 Jahren schon einmal wissentlich diese Strategie verfolgt. Im Rahmen der Insta-Google-Tweet-Face-Generation ist die eigene Zurschaustellung ja auch erheblich einfacher geworden und viel weniger kostenintensiv, solange die Ideen hinter der Masche kreativ genug gestaltet sind.
Cuffing
Cuffing kommt von handcuffs (Handschellen). Obwohl die Grundidee einer Zweckgemeinschaft gar nicht schlecht ist, stellt cuffing eine schwere Form des Vertrauensmissbrauchs dar. Immer dann, wenn man einen anderen Single an sich bindet, um die gemeinsamen Benefits zu genießen (halbe Miete, halbe Heizkosten, halbe Putzarbeit…) ist das erstmal rational. Wenn einer der beiden Singles jedoch diesen Zweckcharakter im gemeinsamen Zusammenleben mit einem zeitlichen Ablaufdatum versieht, ohne dies klar zu kommunizieren, entsteht ein Szenario, dass sich so lange zuspitzt, bis der große Knall unausweichlich wird.
Mingle
Dieser, an eine echte Beziehung angelehnte, Neologismus (mixed + Single = Mingle) erinnert etwas an die F+ Beziehungen. Man trifft sich hin und wieder mit einem vertrauten Menschen (auch horizontal) und lebt zeitweise sogar in einem beziehungsähnlichen Zustand. Trotzdem bleiben beide Singles. Freiheit steht im Zentrum dieses Beziehungstyps. Oftmals haben Anhänger dieses Phänomens schlechte Erfahrungen mit regulären Beziehungen gesammelt und werden zu Mingles, um der Gefahr vorzubeugen, dass sich alte Fehler wiederholen.
Micro-Cheating
Melanie Schilling, eine renommierte Psychologin aus Australien, hat den Begriff geprägt. Wie ist man denn ein wenig untreu? Naja: Wenn man vor anderen eine intakte Beziehung leugnet oder einen kleinen Flirt darauf begründet, dass die eigene Beziehung gar nicht so fest sei. Die kleinen Lügen und Alltagshandlungen rechtfertigen noch nicht den Tatbestand des Fremdgehens, rütteln aber trotzdem am gemeinsamen Vertrauen in einer Beziehung.
Love-Bombing
Wenn ein Partner den anderen mit Liebesbekundungen zu-bombt, spricht man von Love-Bombing. Solche Partner liefern viel, verlangen aber dafür auch einiges. Werden ihre Ansprüche einmal nicht erfüllt, reagieren sie mit Unverständnis, Wut- und Trotzreaktionen auf den Wunsch des Partners nach etwas mehr Freiraum. Ziel des Love-Bombings ist ein devoter und fügsamer Partner ohne eigenen Willen. Obwohl sich manche nach einer solchen Klammerbeziehung sehnen, kann sie auf Dauer keine Lösung sein.
Bei all diesen Trends fragt man sich, wie die Generationen unserer Eltern und Großeltern überhaupt beziehungsfähig sein konnte. Es scheint fast so, als könnte man auch ohne diese ganzen Trends glücklich alt werden. Aber haben wir hier das Rad etwa neu erfunden? Zugegeben: Die meisten dieser Trends waren immer in unserer Gesellschaft präsent, auch wenn wir sie nicht unter dem Namen des konkreten Phänomens erfassen konnten. Partner, die ihre Zuneigung übertreiben, heißen jetzt Love Bomber. Wer früher andere ausnutzte, betreibt heute möglicherweise cuffing. Selbstdarstellungen auf Facebook & Co. haben aus einfachen Angebern kleine Gatsbys gemacht und wer jemanden hinhält, bencht ihn/sie. Warum brauchen wir diese ganzen Namen? Tja… die Tatsache, dass wir solche Phänomene benennen und voneinander abgrenzen können belegt, dass es sich um zunehmende Trends in unserem gesamtgesellschaftlichen Beziehungsverhalten handelt. Sie helfen nicht nur bei der klaren Benennung und ersparen ausschweifende Erklärungen, sondern sind Indikator für die gesellschaftliche Weiterentwicklung dessen, was wir unter Liebe und Beziehung verstehen. Im Grunde ist es also nicht die Neuerfindung des Rades, sondern eher eine Revolution in der Reifentechnologie… und das ist keine Haarspalterei. Wir sehen an solchen Phänomenen, was Partner in unserer Gesellschaft wünschen, wie sie sich binden, wonach sie suchen und woran sie sich orientieren. Ebenso werden die Auswirkungen der weltweiten Vernetzung deutlich. Stellen Sie sich vor, Sie läsen in Zeitungsannoncen folgenden Chiffre: „Sportlicher Mingle bis 30 Jahre für WG-Leben gesucht, erstmal nur Friendzone auf Probe mit optionaler F+ … Rest ergibt sich dann. KEINE Gatsbys, KEINE Cuffing-Maschen, Cushioner werden bevorzugt. Gib deinem Herzen einen Ruck und melde Dich!“ Das mag jetzt noch etwas nach Science Fiction klingen, aber in ein paar Jahren hat sich das vielleicht schon geändert. Wer weiß, was die heutigen Kids irgendwann aus dieser Phänomen-Differenzierung machen werden… Vielleicht gibt es irgendwann spezielle Submarine-Partnerbörsen, bei denen Dates nur alle paar Jahre mal zusammenkommen. Generationen wollen sich immer leicht voneinander abgrenzen.
Die Katalogisierung der Liebe und ihrer Phänomene ist der heutige Grundbaustein für die gelebten Beziehungen von morgen. Und obwohl wir die Liebe vermutlich niemals wissenschaftlich verstehen werden können, kann ein besseres Verständnis ihrer Phänomene doch auch nicht schaden.
Mit Liebe recherchiert…
Quellen:
Peters, S. „Beziehungstrends – Was steckt eigentlich hinter Ghosting, Benching oder Cuffing?“, Express.de vom 02.03.2018
URL:https://www.express.de/ratgeber/gesundheit/beziehungs-trends-was-steckt-eigentlich-hinter-ghosting–benching-oder-cuffing–29806652
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