Oder: Warum Untreue heute mehr schmerzt, als jemals zuvor.
Affären zerstören die gemeinsame Identität der Beziehungspartner. Aber warum heißt es immer, dass Männer aus Angst vor zu viel Intimität fremdgehen und Frauen dies tun, weil sie sich mehr Geborgenheit in ihrem einsamen Leben wünschen?
Im Historischen Blickfeld haben Männer meist ohne größere Konsequenzen betrügen können, während Frauen sich nicht selten dadurch in Lebensgefahr begaben. Noch heute verfahren einige Weltkulturen gnadenlos mit Ehebrecherinnen. Schon die Bibel hat allein den Gedanken an das Begehren einer bereits vergebenen Frau verboten… und dann zur Sicherheit nochmal die Tat selbst, so die belgische Psychotherapeutin und Autorin Esther Perel. Die Expertin fragt, wie sich etwas bewerten lässt, das in nahezu allen Kulturen auf der Welt verpönt ist und trotzdem gleichzeitig überall passiert? Ist Monogamie ein Phänomen der Weltgesellschaft oder ein dem Mensch inhärenter Trieb, der unsere Zivilisation begleitet?
Monogamie sagte als Konzept erst einmal aus, dass man einen Partner fürs Leben wählt. Mittlerweile sind wir bei dem Grundsatz angekommen, uns nicht zwei Partner zur selben Zeit zu wählen und, so lange eine Beziehung hält, einem Partner treu zu bleiben. Die Aussage: „Ich habe in allen Beziehungen meines Lebens immer monogam gelebt“, ist also streng genommen ein Paradoxon. Monogam lebende Magellan-Pinguine binden sich tatsächlich für ihr gesamtes Leben und werden bis zu 25 Jahre alt. Woher kommt diese Idee überhaupt? Das Konzept der Monogamie hat mit der Liebe im Grunde nichts zu tun. Männer verlangen historisch betrachtet genaueste Kenntnis darüber, ob ihre Kinder tatsächlich ihrer DNA entspringen, weil darüber Besitz- und Nachfolgerechte vererbt werden.
Esther Perel konstatiert, dass Untreue heute anders schmerzt als früher. Sie argumentiert wie folgt:
Die vorgelebten Beziehungen unserer Zeit, wir hatten es den Romantischen Fehlschluss genannt, stellt uns ein romantisches Ideal zur Verfügung, welches besagt: Wir geben uns einer Person hin, damit diese uns eine umfangreiche Liste an Bedürfnissen erfüllen kann. Sei mein bester Freund, ein toller Liebhaber, mein Seelenverwandter, ein tolles Elternteil für unsere Kinder, kurz: Sei das große Los in meinem Leben! Dafür bekommst du MICH als Partner. Ich bin unersetzbar und absolut einzigartig für dich… Untreue bestätigt uns hier das Gegenteil! Obwohl es immer schmerzhaft für uns Menschen gewesen ist betrogen zu werden, kämpfen heute nicht wenige mit traumatisierenden Folgen. Untreue zerstört unser Selbstbild und bedroht unsere Überzeugung und Identität innerhalb der Beziehung. Eben weil der Romantische Fehlschluss uns doch das Ideal immer wieder vorgelebt hat, bis wir es glaubten. Die hohen Zahlen gescheiterter Beziehungen und Ehen bestätigen die zunehmende Fluktuation. Früher trennten sich Paare nur, wenn die Partner tatsächlich richtig unglücklich waren. Nicht wenige trennen sich heute mit der Begründung, dass sie vielleicht noch ein wenig glücklicher sein könnten.
Nach dem Aussterben der bis in die 1980er Jahre reichenden Schande, eine Beziehung zu verlassen, ist es mittlerweile verpönt, eine unglückliche Beziehung zu behalten. Zudem war es niemals zuvor einfacher neue Kontakte kennen zu lernen als heutzutage. Ein Geheimnis tatsächlich zu behalten und zu bewahren wird aber auch immer schwieriger. Allein im Zuge der Möglichkeiten unserer digitalen Selbst-Verdatung wissen manche Smartphone-Algorithmen unserer Messenger-Dienste vermutlich mehr über unsere geheimen Aktivitäten, als unsere engsten Freunde. Dies ist ein besonderer Faktor für die Psychotherapeutin Esther Perel, den sie als einen Grund für die traumatisierende Wirkung moderner Untreue heranzieht. Das Internet. Die meisten Beziehungen entwickeln sich heute aus sozialen Netzwerken oder werden durch sie geplant. Kleine Grußnachrichten, Fotos, Wünsche oder Verabredungen für geheime Treffen hinter dem Rücken des Partners… das Internet vergisst nichts. Wenn solche Chat-Verläufe dann doch auftauchen, können die Betrogenen alles im Detail nachvollziehen. Jedes Date, jede Chatnachricht, jeder Anruf lässt sich rekonstruieren. Abhängig vom Umfang solcher Chatverläuft spricht Esther Perel von einem „Death by a thousand cuts“. Früher war da die Gewissheit, dass man betrogen worden ist. Heute besteht theoretisch die Möglichkeit im Detail nachzuvollziehen, wann/wo/mit wem und wie lange man betrogen wurde und was es davor zum gemeinsamen Rendezvous-Dinner zu essen gab. Solche Details schmerzen oft mehr als die bloße Tatsache verdauen zu müssen, dass es da jemand anderen gab/gibt.
Wenn es doch aber so einfach ist, uns in Beziehungen neu zu orientieren und die alten Beziehungen einfach zu verlassen, warum gibt es dann noch so viele Affären? Der Grundgedanke lautete stets, dass Fremdgeher sich woanders das suchen, was sie in der eigenen Beziehung nicht bekommen können. Das schnell vorwurfsvoll klingende Urteil daraus lautet: Entweder stimmt etwas mit der Beziehung nicht oder mit der Person. Der Umkehrschluss lautet, solange zu Hause alles in Ordnung ist, brauchen sich die Partner überhaupt nicht umzusehen. Wenn sie es doch tun, ist das die Schuld der (schlechten) Beziehung.
Warum diese Auffassung Quatsch ist, verraten wir Ihnen im nächsten Teil dieser Reihe.
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